„Wer nicht jeden Tag etwas Zeit für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages selbst viel Zeit für seine Krankheit opfern.“
                                                         - Sebastian Kneipp  (1821-1897)

Unsere Sinneswahrnehmungen sind uns mehr oder weniger bewusst - aber wir können lernen, unsere Wahrnehmung zu fokussieren

Es ist meistens recht einfach, festzustellen, ob es in unserem Umfeld gerade hell oder dunkel ist, oder laut oder leise. Auge und Ohr sind häufig benutzte Sinne.

Etwas anspruchsvoller ist die Frage, wie es gerade riecht. Nehmen wir an, daß gerade der Jüngste die Windeln vollgeschissen hat: ausgelöst wird hierdurch ein allmählich wachsender Erkenntnisvorgang der Nase, gefördert durch die zunehmende olfaktorische Intensität: „leise zieht durch mein Gemüt“ …

Auch beim Reisen fährt man gelegentlich mit Wucht in eine stehende Mauer aus “Landluft“,  weil der Bauer neben Bahngleis oder Straße gerade düngt. Beides sind Extreme.
Meistens aber merken wir nicht bewusst, wie es gerade riecht - es sei denn, wir fokussieren unsere Wahrnumung aufs Riechen und "schnuppern".

Trotzdem beeinflussen Düfte uns die ganze Zeit. Im Handel werden unter­schwellige Düfte eingesetzt, um unser Wohlbefinden und unsere Kauffreudigkeit zu steigern, ohne dass wir dieses bewusst merken, weil Dufterkennung - ohne den Umweg über die Großhirnrinde (“Bewußtsein”)  - direkt ins Stammhirn gemeldet werden: Der “Riechkolben”, die Stelle im Kopf, an der Düfte ausgewertet werden, ist ein Teil des Stammhirns.

Noch anspruchsvoller wird die Wahrnehmungsfrage, wenn wir wissen wollen, wie sich gerade unser linker Fuß oder unsere Zunge anfühlt. Es könnten Wochen vergehen, ohne dass uns dieses interessiert, und trotzdem ist es binnen Sekunden möglich, in den linken Fuß oder zu unserer Zunge zu „schalten“, und sich darüber informieren zu lassen, welche Gefühle dort gerade sitzen.

Wie angespannt bin ich eigentlich gerade?

Aber nun: Wie angespannt bin ich eigentlich gerade im Moment? Was genau ist Anspannung überhaupt? Wie soll ich das denn merken – ich habe doch gar kein Sinnesorgan für Anspannung?

Dass Sie diese Fragen ab jetzt für sich mit Leichtigkeit beantworten können, ist unser erstes elementar wichtiges Lernziel, - neues Grundlagenwissen, auf dem wir Ihre Fähigkeit zur besseren Selbststeuerung im Stress aufbauen werden.

Was genau ist Anspannung überhaupt?

Einige meiner Vorfahren rund um Eisenach in der Lebenszeit Johann Sebastian Bachs waren „Anspänner“ von Beruf, so steht es in den Kirchenbüchern, also regionale Boten und selbständige Fuhrunternehmer. Wer Pferde vor einen Wagen "spännt", will Zug erzeugen, damit Ware, die sich noch nicht am richtigen Ort befindet, dorthin gelangt. Ist das Ziel erreicht, wird abgespannt. Die Pferde dürfen sich entspannen, zum Beispiel durch Grasen auf der Koppel, oder sie dürfen Futter kauen aus dem Hafersack.

Anspannung entsteht also durch Zug: Ich bin hier, aber eigentlich sollte ich schon dort sein. Ich sitze hier auf dem Sofa, und möglicherweise sieht es so aus, als wäre ich entspannt, aber mein innerer Prozess ist beschäftigt, ist bei all den unerledig­ten Aufgaben, von denen mein innerer Antreiber sagt, dass ich sie noch erledigen muss. (Deswegen sagt ein doppeldeutiges Sprichwort auch:“ Wer schneller lebt, ist früher fertig …“, nämlich innerlich erschöpft, im Wortsinn „fertiggemacht“ von der Fülle seiner Aufgaben, im Wortsinn „erledigt“. Dazu nachher mehr im Artikel „Wer sich selbst aus dem Stress holen will, sollte den Unterschied zwischen Anspannung und Dauerspannung (er)kennen“.)

Der Gegenbegriff zu „Anspannung“ ist nicht “Entspannung“, sondern „Hier und jetzt“.  Wer an einem freien Tag wohlig im Bett liegt - und diesen Zustand genießt, ohne dass ein „Müssen“ in seinem Hinterkopf tickt - befindet sich im Hier und Jetzt.
In genau dem Moment, in dem Ihr Bewusstsein beginnt, den Tag zu planen oder eine Liste unerledigter Aufgaben entstehen zu lassen, ist das Hier und Jetzt zu Ende und die Anspannung hat begonnen.

Eine Kletterin oder Wanderin auf schmalsten Bergpfaden befindet sich meist eben­falls nah am Hier und Jetzt, obwohl sie vorankommt und erkennbar in Akti­vität ist. Hier entsteht die Nähe zum unmittelbaren Hier und Jetzt aus der zu be­wältigenden Aufgabe: Es nützt nichts, das Bewusstsein weit oder auch nur einige Meter vorauseilen zu lassen – dies birgt vielleicht sogar die Gefahr des Scheiterns im unmittelbaren Jetzt: Stolpern oder gar abstürzen. Wer klettert oder auf schma­len Pfaden wandert, braucht seine Konzentration – anspannungsfrei – im Hier und Jetzt. Deswegen sind diese beiden Freizeitgestaltungen für viele Menschen erholsam, - und in meinem Laboratorium sogenannte „Booster“, also Tätigkeiten, die mehrere Entspannungszugänge gleichzeitig erschließen.

Wie angespannt bin ich gerade im Moment?

„Der Bär wacht von Zeit zu Zeit aus seinem Winterschlaf auf, um nachzusehen, ob er noch lebt.“
                                                 - Aus einem Schüleraufsatz -

Es wäre wünschenswert für Ihre eigene Gesundheit und seelische Stabilität, wenn Sie „von Zeit zu Zeit“ aus Arbeitsbeanspruchung und Belastung „aufwachen“ würden, um nachzusehen, ob Sie nicht eine Kurzzeitentspannungspause brauchen könnten.

Innere Anspannung kann man messen durch technische Geräte oder auch durch kinesiologische Muskeltests. Fürs erste braucht man jedoch Equipment, fürs zweite kinesiologisches Wissen und/oder eine zweite Person, die diese Tests mit einem durchführt.

Die meisten Menschen können jedoch auch so merken, ob sie gerade angespannt sind. Das Problem liegt eher darin, dass sie – fokussiert auf die Fülle der zu er­ledigenden Aufgaben – nicht darauf achten („Achtsamkeit“), wie es ihnen gerade geht. Die Wahrnehmungsschwelle für innere Anspannung liegt bei den meisten Menschen der Industrienationen sehr hoch, meistens zu hoch.

Stellen Sie sich bitte einmal folgende Situation vor: Sie haben frei, alle Aufgaben sind erledigt, die gelegentlich nervigen Nachbarn sind im Urlaub, Ihre Familie unterwegs, und Sie nutzen die Zeit zu einem tagträumenden Ruhepäuschen auf Ihrem Sofa. Als Sie dort so liegen, hören Sie plötzlich Wasser von der Decke tropfen. Da die Wahrnehmungsschwelle für Wasser in der eigenen Wohnung bei den meisten von uns recht niedrig liegt, würden Sie vermutlich nach dem fünften oder sechsten Tropfen aufstehen und versuchen, die Ursache zu ergründen, um das Tropfen abzustellen.

Wenn ich diese Situation nun übertrage auf unser Thema Anspannungs­befind­lichkeit, dann gäbe es zahlreiche Menschen, die erst dann, wenn ihr Sofa in der hüfttief stehenden Brühe im Wohnzimmer zu schwimmen anfängt, bemerken würden, dass etwas nicht in Ordnung ist, weil ihre Wahrnehmungsschwelle für Anspannungsbefindlichkeit höher liegt, als es für sie eigentlich gut ist.

Bei den meisten Menschen gibt es Frühwarnsignale für ansteigende innere Anspannung. Es ist sehr nützlich, wenn man seine eigenen, individuell-persönlichen Frühwarnsignale (er-)kennt.

Wie soll ich das denn merken – ich habe doch gar kein Sinnesorgan für Anspannung?

Ein Anspannungscoaching kann helfen, seine eigene Wahrnehmung zu verfeinern. Hat man einmal gelernt, wie sich Anspannung anfühlt, erkennt man sie in aller Regel wieder.
Das ist so ähnlich wie Joggen mit einem Pulssensor: Nach einer Weile braucht man den Sensor nicht mehr, weil man nun selbst weiß, wie sich Puls 120 anfühlt.

Weiterlesen:  „Wer sich selbst aus dem Stress holen will, sollte den Unterschied zwischen Anspannung und Dauerspannung (er)kennen“.

Wer tiefer in die persönliche Selbsteinschätzung der Frühwarnsignale einsteigen will, dem sei mein Selbsteinschätzungsbogen empfohlen. Gemeinsam mit einem vereinfachten Selbststeuerungsinstrument:

„Das Stress--Vermeidungs-Cockpit - bessere Selbststeuerung trotz hoher Anforderungen“  (16 Seiten PDF plus Selbsteinschätzungsbogen,  € 5)